Eine Dokumentation über das Kriegsende in Dedinghausen und zur Befreiung Lippstadts

(HWW) Vor 35 Jahren erschien D.a. in der April-Ausgabe mit der Titelstory „Vor vierzig Jahren: Als der Krieg zu Ende ging“ (vergl. D.a. 145/3ff). In diesen Tagen, in denen allerorts an das Kriegsende in Europa und der Befreiung der Welt vom Naziterror gedacht wird, will D.a. durch den Nachdruck des Artikels aus unserer Nr. 145 den lokalen Bezug zu den Ereignissen vor 75 Jahren herstellen.

1.April 1945: Mit Ruhrkesselschließung ist in Lippstadt (fast) alles vorbei

In den strategischen Planungen sowohl der Alliierten als auch der Deutschen spielte Lippstadt und demzu-folge auch Dedinghausen keine Rolle.
Der Ruhrkessel der amerikanischen Armee sollte eigentlich nördlich von Paderborn in der Senne geschlossen werden. Jedoch führte der starke deutsche Widerstand am 30.03.45 in Paderborn dazu, dass der Kessel bei Lippstadt geschlossen wurde.
Auch in den deutschen Verteidigungsmaßnahmen war Lippstadt nicht vorgesehen. Die nächste Kampfeinheit stand in Beckum, SS-Einheiten in Erwitte.
Da am Tage des amerikanischen Einzuges in Lippstadt die hiesigen Volkssturmeinheiten sich außerhalb der Stadt aufhielten, vollzog sich die Besetzung Lippstadts kampflos.
Auch während des Krieges war die Innenstadt von Lippstadt weitesgehend von Zerstörung verschont geblieben.
Lediglich der Fliegerhorst in Lipperbruch wurde bei einem Großangriff am 19.04.44 erheblich zerstört. Auch die Flakeinheiten im Süden der Stadt wurden angegriffen.

Dedinghausen drohte Gefahr von der Bahnlinie: Eine Tote

Die Bahnlinie Hamm – Lippstadt – Paderborn, die als Nachschubverbindung diente, wurde mehrfach durch Bomber angegriffen. Mehrfach fielen dabei auch Bomben rechts und links der Bahnlinie in Dedinghau¬ser Felder und Gärten.
Bei einem dieser Angriffe, am 11. oder 12. Februar 1945, fielen die Bomben wieder einmal relativ zielungenau. So schlug eine kleinere Bombe im Holzschuppen der Familie Hellinge ein; immerhin etwa knapp 200 m von der Bahn in der damaligen Katzenstraße (heute Wasserstraße) gelegen. In dem Schuppen befanden sich zwei Jungen im Alter von 11 und 13 Jahren, die wie durch ein Wunder mit dem Leben davonkamen. Die Mutter des jüngeren Kindes jedoch, die den Angriff vom Fenster aus gesehen hatte, wurde von einem Bombensplitter getroffen. Sie verstarb am 16.02.1945 an diesem Lungendurchschuss. Frau Gertrud Hellinge war das einzige Kriegsopfer in Dedinghausen.

Insgesamt fielen 42 Dedinghauser Bürger im 2.Weltkrieg.

Was geschah nun in den letzten Kriegs- und Nazitagen in und um Dedinghausen?

Willi Mues schreibt in den ‘Heimatblättern’ von 1969: “Als harte Ouvertüre darf man den Samstag, 24.März (1945), bezeichnen. Bei sonnigem Frühlingswetter griffen gegen 17.15 Uhr starke amerikanische Bomberverbände den Flugplatz Störmede/Ehringerfeld an. 1200 Bomben zerstörten das Rollfeld und die Flugplatzanlagen. In den umliegenden Ortschaften bebte die Erde und klirrten die Fensterscheiben.”

Bis Dedinghausen waren die schwarzen Rauchschwaden zu sehen und zu riechen. Bei einigen kam der Gedanke vom baldigen Ende auf.
Am Nachmittag des Gründonnerstages, d. 29. März’45, verbreitete sich in Lippstadt und auch in Dedinghausen die Nachricht, dass amerikanische Panzerspitzen vor Brilon standen. Spätestens jetzt war jedem klar, dass das Ende nahte.
Von Brilon und Büren einerseits und nördlich der Lippe entlang andererseits vollzog sich unaufhaltsam der Vormarsch der amerikanischen Truppen, deren Ziel, die Schließung des Ruhrkessels, kurz vor der Erreichung stand.
Unablässig fluteten deutsche Truppenverbände in den letzten März-Tagen durch Lippstadt und die ganze Umgebung, um der sich abzeichnenden Kesselschließung zu entgehen.
Auch durch Dedinghausen zogen diese flüchtenden Soldaten; aber auch zivile Nazis waren unter ihnen. In Esbeck wurde ein Mann von durchziehenden SS-Leuten erschossen, der die Zeichen der Zeit erkannt hatte und eine weiße Fahne gehisst hatte.
In Lippstadt war am 31.März der Post- und Bahnverkehr abgeschnitten. Das schon seit Tagen aus der Ferne hörbare Panzerfeuer wurde stärker und deutlich aus der Richtung Cappel vernehmbar.
Gleichzeitig strebten in schnellem Marsch amerikanische Panzer von Salzkotten her über Geseke in Richtung Lippstadt.

Der Krieg ist für Dedinghausen vorbei – amerikanische Soldaten kommen ins Dorf

Am 1.April’45, Ostersonntag, in der zwölften Stunde des Vormittages wurde im Rathaus zu Lippstadt den Amerikanern eine unversehrte Stadt kampflos übergeben.
Aus den umliegenden Dörfern flüchteten nunmehr hastig die letzten Soldaten und Nazis. Von den Kirchtürmen dieser Dörfer flatterten weiße Fahnen. Noch am gleichen Nachmittag gingen in Esbeck und Rixbeck Panzer mit südlicher Schussrichtung in Stellung.
Über Dedinghausen berichtet Willi Mues in den Heimatblättern von 1969: “In Dedinghausen zogen in der Frühe des ersten Ostertages ebenfalls noch einige deutsche Wehrmachtseinheiten in geschlossener Ordnung durch das Dorf, um bei Delbrück den Ruhrkessel zu verlassen. Dann blieb der Ort einige Tage unberührt und verlassen liegen, von jeder Nachricht abgeschnitten.”
Der alliierte Oberbefehlshaber, General Eisenhower, verkündigte am 3.April’45 in seinem Tagesbefehl: “Die nunmehr vollendete Einkreisung des Ruhrgebietes ist eine große Waffentat und wird in der Kriegsgeschichte als ‘Die Schlacht um die Ruhr’ weiterleben!”
In Lippstadt herrschte am 3.April das Besatzungsrecht. Zahlreiche Häuser wurden von den Amerikanern beschlagnahmt. Raub und Plünderungen durch freigewordene Fremdarbeiter, aber auch durch deutsche Zivilisten, waren an der Tagesordnung.
Die Orte wie Dedinghausen, Rixbeck und Esbeck lagen nun hinter der Front, wenn dieser Begriff überhaupt angebracht ist.
Erwitte und die umliegenden Dörfer waren jetzt Schauplatz des amerikanischen Vorrückens aufs Ruhrgebiet.
Am 3.April gingen in Rixbeck auf der Walachei schwere amerikanische Panzer-Artillerie Einheiten mit Schussrichtung Erwitte in Stellung.
Andere Dörfer im Umkreis von Lippstadt erhielten in diesen Tagen kurze amerikanische Besatzungen; so auch Dedinghausen.
Willi Mues schreibt über Dedinghausen in diesen Tagen: “Die Divisionskampfgruppe B der 8. US-Pan-zerdivision sammelte sich in der Umgebung von Salz-kotten als Reserve, andere Teile der Kampfgruppe sammelten sich bei Dedinghausen.”
Die gesamte Gegend blieb jedoch in den folgenden Tagen noch unruhig. Freigelassene Fremdarbeiter und Kriegsgefangene zogen plündernd durchs Land.
So weiß z.B. der damalige Gutsverwalter aus Ehringerfeld zu berichten, dass 2 Männer aus Dedinghausen, die ihn besuchten, von Russen auf dem Heimweg beschossen wurden.
Ähnliches ist damals vielerorts passiert.

Weitere Informationen zum Kriegsende

Der Artikel wurde vor 20 Jahren von Heinz-W. Wellner aus mündlichen Überlieferungen und den folgend aufgeführten schriftlichen Quellen zusammengestellt. Zum Nachlesen, für jene Leser, die sich ausführlicher als dies hier geschehen konnte, informieren wollen, bieten sich folgende Schriften an:

  • Willi Mues;”Der große Kessel”, Erwitte’84.
  • Willi Mues; Heimatblätter Nr.18, 19, 20 von 1969 als Beilage zum Patriot.
  • Verschiedene Autoren in den Heimatblättern 13/79; 14/65; 4/65 und 17/69
  • Krockow; “Stadt Lippstadt”, Lippstadt’64.

Im Februar’95 erschien in der Schriftenreihe ‘Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Lippstadt’ der Band 10. Karin Epkenhans beleuchtet Lippstadt von 1933 bis 1945 und veröffentlicht darin ihr Quel¬lenstudium zur Geschichte der Stadt Lippstadt im Nationalsozialismus.
Soweit man dies nach einer Schnelldurchsicht behaupten kann, wird Dedinghausen in dem Buch von Karin Epkenhans nur einmal erwähnt.
Auf Seite 167 findet sich eine Aufstellung von Kriegsgefangenen-Lagern im Kreis Lippstadt, datiert von 21.04.1941. Dort ist das „Lager 511 – Dedinghausen, b. Bauer A.Weeners“ aufgeführt.

Zeitzeugen aus Dedinghausen berichten

Wer es speziell für Dedinghausen etwas genauer wissen will, der muss die wenigen Zeitzeugen befra-gen, die es noch im Dorfe gibt.
D.a. tat dies in Ergänzung zum obigen Bericht für die Ausgabe Mai‘85 und veröffentlichte im Festbuch ‘950 Jahre Dedinghausen’ drei Berichte von Zeitzeu-gen (vergl. ‘950 Jahre Dedinghausen’; 174 – 177). Zwei sind hier nachgedruckt:

Elisabeth Lummer erinnerte sich für das Festbuch an die „Geschehnisse im Frühjahr 1945“:

„… Ostersonntag ½ 8Uhr : hl. Messe in Dedinghau-sen. 9 Uhr hieß es, die Panzer stehen in Lippstadt. In Dedinghausen haben wir die weißen Fahnen ausge-hängt. Dann rollten deutsche Panzer aus Richtung Lippstadt nach Esbeck durch. Schnell wurden die weißen Fahnen wieder eingezogen. Dann hörten wir wieder Panzer rollen, die weißen Fahnen flatterten wieder. Am Nachmittag hieß es: Lippstadt hat sich ergeben. … „

Anna Plaß war damals 33 Jahre alt. Für D.a. 146 (Mai’85) und das Festbuch schrieb sie ihre „Erinnerungen an Ostern 1945“ auf:

„ … Mein Mann sollte kurze Zeit vor Ostern zu einer Sammelstelle vor Hamm zu Fuß marschieren. Da er sich mit einem Holzschuh einen Fuß gescheuert hatte, der sich entzündete, konnte er nicht gehen. Ich ging zum Finanzamt am Lippeufer um ihn zu ent-schuldigen. Da waren Offiziere, die wollten aber die ärztliche Bescheinigung haben, die ich von Dr. Kleine holte und brachte. Mein Mann musste zum Krankenhaus kommen zur Untersuchung. Es fuhren schon keine Züge mehr, und mein Mann blieb einfach zu Hause. …
Dann sollte mein Mann auf Kommando eines Dedinghauser SS-Mannes in den Schwarzenrabener Wald und Panzersperren von Bäumen holen. Mein Mann wollte nicht gehorchen und sagte: “Spar dir deine Mühe, die Amerikaner sind ja schon nahe”. Darauf antwortete der SS-Mann: “Wenn du nicht willst, bringe ich dich dahin, wo du nicht gerne hin willst!” Unsere Nachbarin Frau Schäfer hielt um ein gutes Wort bei dem SS-Mann an und zum Glück mit Erfolg.
2 Tage später standen Hagemanns Georg und mein Franz an unserem Drahtzaun und hörten wie die Panzer über die Esbecker Hauptstraße zum Mond-schein runter angerollt kamen, auch in unser Dorf, lang an der Fukuhle runter. Ein Panzer fuhr vor Kohls Haus her und überfuhr Hagemanns Gar¬ten-zaun, dann 2 dicke Apfelbäume und blieb vor der Hecke, die hinter unserem Holzstall lang um den Garten runter stand, stehen, direkt vor unserer 1 Meter hohen Holztonne, die mein Franz in die Erde, dem Erdboden gleich, eingebuddelt hatte. Darin hatte er 2 Seiten fetten Speck gehängt, dann einen runden Holzdeckel drauf gelegt und Grasnarbe drü¬ber gedeckt. Wir hatten noch geschlachtet, und die Mettwürste hatte mein Mann an einem langen Band-seil lang dran runter festgebunden, ging damit oben auf den Boden, stieg die Leiter am Schornstein rauf und ließ das Seil mit den Würsten oben durch den Luftschornstein nach unten runterhängen. Er band das Seil und machte das Kläppken zu. …
Dann kamen Amerikaner in die Häuser und suchten Quartiere. Franz wurde gefragt: “Warum du nicht Soldat?” Franz zeigte seinen dünnen steifen Arm. Dann fragte ein Amerikaner nach Kindern. Wir sag-ten: “6 Kinder.” “Dann nix Quartier” sagte der Amerikaner und ging wieder! Hagemanns mussten ihr Haus räumen und gingen nach Meilwes. Um die Kuh zu melken, durfte Frau Hagemann kommen. …“

Titelseite einer deutschen Soldatenzeitung vom 1. April 1945
(Auszug)

Zum Ostertag 1945 !

Trotz aller Frühlingsstürme treten wir mit star-kem und unerschütterlichem Glauben an die Sendung und Zukunft unseres Volkes in die 6. Kriegsostern ein.
Noch fester schließen sich in völkischer Ver-bundenheit die Reihen von Front und Heimat. Noch fanatischer muss Glaube und Wille aller, den feindlichen Gewalten zum Trotz, sich dafür einsetzen, dass die Sonne über unserem unge-schmälerten Vaterland wieder voll erstrahlt.
Die Parole heißt: Kein Soldat soll besser sein als wir großdeutschen Soldaten Adolf Hitlers!

gez. – MODEL
Generalfeldmarschall.


Zur Lage

Der aus dem Raum Marburg-Gießen nach Nor-den strebende Feind steht mit seinen Spitzen nunmehr südlich von Paderborn und Lippstadt, während er nach Nordosten den Raum Hersfeld erreichte.
Nach Nordwesten eindrehende Teile stießen auf Berleburg, Schwarzenau, Elsoft am Ostrand des Rothaargebirges.
Weitere Angriffe richteten sich gegen den Raum Siegen, wo der Feind südlich der Stadt aufge-fangen wurde.
Es gelang den Amerikanern nicht, die Sieg an irgendeiner Stelle zu überschreiten.


An dem Wochenende an dem Lippstadt von den Alli-ierten kampflos genommen wurde, erschien in der Soldatenzeitung “Extra-Post” obiger Auszug. Offen-sichtlich wollte der Oberbefehlshaber der deutschen Heeresgruppe B, Generalfeldmarschall Walter Model, für die Verteidigung des Ruhrgebiets zustän-dig, die Sinnlosigkeit seines Tuns noch nicht einse-hen.
Am 21.04.45 erschoss er sich.